Konflikte verstehen, bevor sie eskalieren. Grundlagen des (nicht nur) interkulturellen Konfliktmanagements

Wo Menschen zusammentreffen, gibt es unterschiedliche Sichtweisen, Werte und Erwartungen. In kulturell vielfältigen Teams wird das oft spürbarer, kann neue Perspektiven eröffnen, aber auch zu Auseinandersetzungen führen. Das ist normal. Doch nicht jeder Konflikt muss eskalieren. Wer früh erkennt, worum es eigentlich geht, kann Spannungen oft entschärfen, bevor sie Schaden anrichten. Dieser Artikel bietet einen kompakten Überblick über Ursachen und Dynamiken von Konflikten, mit einem besonderen Blick auf interkulturelle Aspekte. Zudem zeigt er, welche Strategien helfen, bewusst und deeskalierend zu handeln, bevor aus kleinen Missverständnissen große Gräben werden.
Das Wichtigste in Kürze
- Konflikte entstehen durch unterschiedliche Interessen, Wahrnehmungen oder Erwartungen, und sie sind völlig normal.
- Kulturelle Unterschiede sind meist nicht die Ursache, können Missverständnisse aber verstärken.
- Frühwarnzeichen und Vorboten zu erkennen, hilft dabei, Konflikte zu entschärfen.
- Deeskalation braucht eine offene Haltung, klare Gesprächsführung und bewusstes Verhalten.
- Ein guter Umgang mit Konflikten lässt sich im Team gemeinsam trainieren.
Was ist ein Konflikt?
Begriffsklärung und Funktionen
Ein Konflikt entsteht, wenn unterschiedliche Interessen, Ziele oder Bedürfnisse aufeinandertreffen und diese als unvereinbar eingestuft werden. Was jemand als Konflikt erlebt, hängt dabei von der eigenen Wahrnehmung ab. Konflikte existieren nie objektiv, sondern werden stets subjektiv empfunden. So kann es vorkommen, dass von zwei (oder mehr) Personen eine die Situation als Konflikt betrachtet, die andere(n) aber nicht.
Konflikte sind nicht unbedingt negativ oder destruktiv. Im Gegenteil, sie sind ein gewöhnlicher Bestandteil des sozialen Miteinanders und erfüllen wichtige Funktionen. Sie machen verschiedene Perspektiven sichtbar, bearbeiten Unterschiede und verhindern vorschnelle Entscheidungen. In Teams tragen sie dazu bei, Kontroversen zu bearbeiten, neue Perspektiven zu entwickeln und so Stabilität und Zusammenhalt im Team zu sichern.
Allerdings sind Konflikte oft anstrengend, kosten Zeit, Energie und emotionale Kraft.
Konfliktarten
Konflikte werden meist danach unterschieden, um was es geht, wie sie sich zeigen und wer daran beteiligt ist.
Der Streitgegenstand (was?) kann entweder die Sache sein (z. B. das passende Medikament für eine Patientin) oder die Beziehung und hier oft empfundene fehlende Wertschätzung.
Es gibt drei Erscheinungsformen (wie?) von Konflikten:
- Latente Konflikte köcheln unterschwellig, werden aber nicht offen angesprochen. Sie sind unsichtbar.
- Manifeste Konflikte sind „ausgebrochen“ und offen wahrnehmbar, auch für Unbeteiligte.
- Bei verschobenen Konflikten wird vordergründig oft über etwas Banales gestritten (meist eine Sache), tatsächlich geht es aber um etwas Tieferliegendes (meist die Beziehung).
Beispiel: A sagt zu B: „Du hast das Geschirr im Pausenraum schon wieder nicht richtig gespült.“ B antwortet empört: „Das stimmt überhaupt nicht! Das behauptest du immer wieder!“ Tatsächlich denkt A: „Du respektierst mich überhaupt nicht.“ Und B: „Du behandelst mich wie ein kleines Kind und traust mir gar nichts zu.“ |
Solange der tieferliegende Konflikt nicht erkannt und bearbeitet wird, bricht er immer wieder aus und produziert neue verschobene Konflikte.
Schließlich unterscheidet man Konflikte auch nach den beteiligten Konfliktparteien (wer?):
- Bei einem inneren Konflikt ringen verschiedene eigene Interessen oder Werte miteinander (z. B. Loyalität gegenüber dem Team versus eigene Grenzen: „Gehe ich nach der Schicht noch mit ins Café und tue etwas für die Integration der neuen Kolleg:innen? Oder gehe ich nach Hause, weil ich völlig erschöpft bin?“).
- Demgegenüber stehen zwischenmenschliche (auch: soziale) Konflikte, an denen zwei oder mehr Personen beteiligt sind.
Typische Reaktionen im Umgang mit Konflikten
Menschen reagieren unterschiedlich auf Konflikte. Manche Strategien wirken kurzfristig entlastend, sind aber langfristig wenig hilfreich. Ein Blick auf typische Reaktionsmuster zeigt, welche Dynamiken sich dahinter verbergen.
Vermeidung bedeutet, den Konflikt nicht anzusprechen. Er wird ignoriert, verharmlost oder verdrängt in der Hoffnung, dass er sich von selbst löst. Diese Reaktion ist eine Verlierer-Verlierer-Lösung.
Eine andere Strategie ist Nachgeben. Nach dem Motto „Der Klügere gibt nach“ ordnet sich eine Person unter, um den Frieden zu wahren. Dabei bleibt sie mit ihren Bedürfnissen auf der Strecke, es handelt sich deshalb um eine Verlierer-Gewinner-Lösung.
Das Gegenteil von Nachgeben ist Durchsetzen. Die eigene Position wird dem/der anderen aufgezwungen. Das wird häufig als starkes Verhalten gewertet, ist aber eine ebenso wenig erstrebenswerte Gewinner-Verlierer-Lösung.
Kompromisse entstehen, wenn alle Beteiligten Zugeständnisse machen. Jede Seite bekommt etwas, muss aber auch etwas abgeben. Das Ergebnis ist für niemanden perfekt, aber akzeptabel, deshalb eine Gewinner-Gewinner-Lösung.
Kooperation zielt darauf, gemeinsam eine (eventuell völlig neue) Lösung zu finden, die allen gerecht wird. Diese Strategie ist anspruchsvoll und setzt Dialog, Geduld und Vertrauen voraus. Sie bietet dafür aber die nachhaltigste Basis und gilt als stabile Gewinner-Gewinner-Lösung.
Ursachen für Konflikte
Konflikte entstehen nicht ohne Grund. Oft wirken mehrere Faktoren zusammen. Die folgenden Ursachen zählen zu den häufigsten Auslösern, im Pflegealltag ebenso wie in anderen Arbeitskontexten.
Unterschiedliche Bedürfnisse und Werte, unklare Rollen und Erwartungen oder besondere Beziehungen können Spannungen erzeugen. Auch Hierarchien, Machtverhältnisse und Abhängigkeiten spielen eine Rolle. Besonders häufig führen Missverständnisse in der Kommunikation zu Konflikten, etwa wenn Informationen unklar sind, unausgesprochene Annahmen im Raum stehen oder wenn unterschiedliche kommunikative Gewohnheiten aufeinandertreffen.
Zusätzlich können organisatorische Rahmenbedingungen oder Strukturen im Arbeitsumfeld zu Konflikten führen. Sie werden also nicht durch persönliche Aspekte verursacht, sondern durch die Art und Weise, wie Aufgaben, Zuständigkeiten, Ressourcen usw. innerhalb der Organisation geregelt sind (z. B. unklare Aufgabenverteilung, hohe Arbeitsbelastung, fehlender Austausch). Man spricht hier von strukturellen, organisationsbedingten Konflikten.
Wichtig zu wissen: Diese Mechanismen wirken unabhängig von kultureller Vielfalt unter den Beteiligten. Kulturelle Unterschiede können aber in allen Bereichen als Verstärker wirken.
Häufige Ursachen für interkulturelle Konflikte
- Kommunikationsstil → Besonders häufig führen die kulturell geprägten direkten bzw. indirekten Kommunikationsstile zu Missverständnissen. Während im Deutschen ein direkter Stil (kurz und knackig) normal und gewünscht ist, gilt dieser in den meisten Kulturen der Welt als eher unhöflich. Es wird ein indirekter, blumig-ausschweifender Stil bevorzugt. Das wird im Deutschen wiederum oft als nicht-Wissen, sich-nicht-Festlegen-wollen usw. aufgefasst.
- Kritik und Konfliktverhalten → Zur Wahrung der Harmonie und aus Sorge vor Gesichtsverlust werden Kritik und Konflikte in vielen Kulturen oft nicht und auf keinen Fall direkt angesprochen. Stattdessen dürfen sie nur indirekt und nie vor unbeteiligten Dritten angedeutet werden.
Praxistipp → Kommunikations- und Konflikt-Gewohnheiten im Team thematisieren und offen besprechen, gemeinsame Regeln vereinbaren und regelmäßig gemeinsam überprüfen; ohne Vorwürfe
- Feedbackverhalten → Was als ehrliche Rückmeldung gemeint ist, kann bei anderen als verletzend oder respektlos ankommen. Hier gelten die gleichen Bedingungen wie beim Konfliktverhalten.
Praxistipp → Feedback in Ich-Botschaften formulieren, klare Regeln gemeinsam vereinbaren und nutzen; Rückmeldungen behutsam und nur im geschützten Raum geben
- Werte, Normen, Bedürfnisse und Rollenbilder → Hierzu besteht in interkulturellen Teams reichlich Potential für Missverständnisse, die zu Konflikten anwachsen können.
Was ist wichtiger, das Individuum oder die Gemeinschaft? Welche Bedeutung haben Positionen und Hierarchien? Was darf ich als Mitarbeiter:in, Praktikant:in und was nicht? Was wird von Vorgesetzten erwartet? Wie gehen wir mit Zeit um? Welche Erwartungen werden an meine (fachliche) Rolle herangetragen? Diese u. a. Fragen sind eng mit den eigenen Wertevorstellungen verknüpft und werden häufig sehr unterschiedlich beantwortet.
Praxistipp → Wertearbeit im Team aktiv durchführen, z. B. so: Jedes Mitmitglied schreibt die drei Werte, die ihm am wichtigsten sind, auf kleine Zettelchen (pro Zettel ein Wert). Anschließend werden diese verglichen und besprochen. Die Wahrscheinlichkeit, dass es Überraschungen gibt, ist recht hoch. Umso wichtiger ist es, dies explizit zu machen und sich auf gemeinsame Werte zu verständigen.
- Stereotype und Wahrnehmung → Stereotype und Vorannahmen sowie die eigene kulturelle Prägung führen dazu, dass wir durch unsere „kulturelle Brille“ schauen, wahrnehmen und interpretieren. Daraus entstehen oft Fehlinterpretationen und Verurteilungen.
Praxistipp → sich der eigenen Stereotype und Filter bewusst werden; Perspektivwechsel gezielt ermöglichen und trainieren, z. B. durch Rollentausch, Austausch oder interkulturelle Fallbesprechungen
Frühwarnzeichen und Vorboten von Konflikten
Konflikte entstehen nicht von heute auf morgen. Meist kündigen sie sich lange im Voraus an. Wer typische Frühwarnzeichen erkennt, kann rechtzeitig gegensteuern.
Eine Gruppe solcher Vorboten lässt sich als emotionale Distanzierung zusammenfassen. Kolleg:innen ziehen sich zurück, schweigen oder verwenden eine abweisende Körpersprache. Sie wirken abwesend und machen nur noch „Dienst nach Vorschrift“. Auch erhöhte Krankmeldungen können ein Indiz für einen latenten Konflikt sein.
Beispiele: (1) Eine an sich lebhafte Kollegin beteiligt sich kaum noch an Teambesprechungen. Wenn sie angesprochen wird, antwortet sie kurz und knapp und meidet dabei Blickkontakt. (2) Ein netter umsichtiger Kollege erledigt seine Aufgaben zwar korrekt, macht aber nur noch das Nötigste. Er übernimmt plötzlich keine Schichten mehr freiwillig und bietet auch keine Hilfe an. |
Die zweite Gruppe von Frühwarnzeichen betrifft die Kommunikation und Gruppendynamik. Auf einmal bilden sich Grüppchen, wichtige Informationen werden zurückgehalten oder vermeintliche Missverständnisse häufen sich.
Beispiele: (1) Drei Mitarbeitende sitzen in der Pause neuerdings stets zusammen, drehen sich von anderen weg und verdrehen demonstrativ die Augen, wenn bestimmte Personen sprechen. (2) Bei Übergaben oder Dokumentationen fehlen plötzlich wichtige Details oder sie werden verspätet und lückenhaft nachgereicht. (3) Eine Pflegekraft, die sehr klar formuliert, muss gegenüber einer bestimmten Kollegin das Gesagte immer wiederholen, weil diese sie angeblich nicht versteht. |
Verbale Aggressionen bilden die dritte Gruppe von Signalen. Gerüchte werden gestreut und Intrigen gesponnen. Statt Argumente auszutauschen, wird um die jeweils eigene Meinung regelrecht gekämpft. Ironie, Sticheleien, zynische oder sarkastische Bemerkungen vergiften das Miteinander.
Beispiele: (1) Eine Pflegekraft sagt zur anderen, die eine Sache langsam erledigt hat: „Na, das hast du ja wieder super schnell hingekriegt!“ (2) Im Team häufen sich spitze Bemerkungen und Kommentare wie: „Ach, so machst du das. Das ist bei euch wohl so üblich. Wir sind aber hier bei uns.“ |
Deeskalation von Konflikten
Nicht jeder Konflikt muss eskalieren. Wer Konflikte rechtzeitig erkennt, reagiert und bewusst handelt, kann Spannungen abbauen, bevor sie sich verhärten. Entscheidend sind die innere Haltung, Sprache, situatives Verhalten und Gesprächsführung.
Grundhaltungen – Deeskalation beginnt im Kopf
Der erste Schritt ist oft ein innerer. Statt vorschnell zu urteilen, sollte man neugierig bleiben und sich fragen: „Was könnte hinter dem Verhalten der anderen Person stecken?“ Ein Perspektivwechsel kann helfen, die Situation auch mit ihren Augen zu sehen. Kritik sollte an der Sache, nicht an der Person geübt werden, wobei das, wie bereits erwähnt, in vielen Kulturen besonders sensibel ist. In aufgeheizten Situationen hilft auch: nicht jedes Wort auf die Goldwaage legen. Das Gegenüber ist ebenfalls aufgewühlt und nicht alles ist so gemeint, wie es klingt.
Sprachliche Strategien – Die Wortwahl macht den Unterschied
Sprache kann Brücken bauen oder Gräben vertiefen. Deeskalierend wirkt, wer in Ich-Botschaften spricht: „Ich bin frustriert, wenn ich nicht weiß, ob ich verstanden werde“ statt „Du hörst mir nie zu!“. Fragen statt Vorwürfe öffnen den Dialog: „Wie meinst du das?“ statt „Du willst nur deinen Willen durchsetzen!“ Explizite kulturelle Reflexion sollte ebenfalls Raum haben: „Kann es sein, dass wir unterschiedliche Vorstellungen haben? Lass uns das kurz klären.“ Hilfreich ist auch, die eigenen Emotionen zu benennen, ohne dabei Schuld zuzuweisen: „Das irritiert mich. Ich möchte verstehen, was dahintersteckt.“
Situative Maßnahmen – Wenn’s akut wird
In akuten Konfliktsituationen hilft es, bewusst auf die Bremse zu treten: Einen Schritt zurückgehen (innerlich oder äußerlich) und von fünf bis null herunterzählen beruhigt und schafft Abstand. Auch eine kurze Pause mit ehrlicher Begründung („Ich bin zu aufgewühlt. Lass uns bitte kurz Pause machen.“) kann helfen. Manchmal ist es besser, das Gespräch zu vertagen und einen Termin für die Fortführung zu vereinbaren („Ich will das klären, brauche aber erst einen klaren Kopf. Wollen wir später in der Pause reden?“). Ebenfalls hilfreich ist ein Ortswechsel, bei dem ein geschützter Raum aufgesucht wird („Lass uns nach X gehen. Dort haben wir Ruhe und können das ungestört besprechen.“). Auf dem Weg dorthin beruhigen sich die Gemüter bereits.
Kommunikations-Strategien – Bewusstes Gesprächsverhalten
Eine respektvolle Gesprächsführung kann die Dynamik eines Konflikts grundlegend verändern. Aktives Zuhören signalisiert Interesse und Wertschätzung und schafft Verbindung, z. B. durch Aufmerksam-Sein, Nachfragen, Zusammenfassen („Du meinst also, dass…?“).
Auch bewusst zugelassene Gesprächspausen und das Aushalten von Stille wirken deeskalierend. Beides gibt Raum zum Nachdenken und nimmt Tempo aus der Situation.
Ebenso wichtig ist die non- und paraverbale Kommunikation. Körpersprache, Mimik und Tonfall wirken oft stärker als Worte. Eine offene Haltung, ein freundlicher Blick und ein ruhiger Tonfall signalisieren: „Ich bin bereit, eine gemeinsame Lösung zu finden.“
Fazit
Konflikte bieten die Chance, etwas zu verändern und gemeinsam zu wachsen. Wer sich mit den eigenen Reaktionsmustern auseinandersetzt, lernt, bewusster zu handeln statt impulsiv zu reagieren. Eine kultursensible Haltung schärft dabei den Blick für unterschiedliche Sichtweisen, fördert gegenseitiges Verständnis und reduziert damit vorhandenes Konfliktpotential. Gemeinsame Kommunikationsregeln und geteilte Werte schaffen hierfür eine stabile Basis. Treten Spannungen trotzdem auf, ist das allerdings kein Drama. Mit gezielter Deeskalation lässt sich fast jede angespannte Situation entschärfen.
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